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Dossier #2

Interviews & Kennzahlen

« Die Universität Zürich hat ihre akademische Freiheit an Philip Morris verkauft »

Warum haben Sie sich für diese Affäre interessiert?

Pascal Diethelm: Nachdem ich mich mit der Affäre Rylander an der Universität Genf befasst hatte1, interessierte ich mich besonders für die Einmischung der Tabakindustrie in die Forschung. Als mich 2015 australische Kollegen darauf aufmerksam machten, dass eine Studie an der Universität Zürich (UZH) von Philip Morris finanziert worden war, beschloss ich sofort, dem nachzugehen. Es ist weithin bekannt, dass von der Tabakindustrie finanzierte Studien systematisch zu Ergebnissen führen, die ihren Interessen dienen. So war mir klar, dass man dieser Geschichte auf den Grund gehen muss. Ausserdem fanden die Ergebnisse des Zürcher Forschungsprojekts internationale Beachtung, denn sie manipulierten die öffentliche Meinung und säten Zweifel am Nutzen der neutralen Verpackung bei der Bekämpfung des Tabakkonsums. Dadurch verzögerte sich deren Einführung in mehreren Ländern. Das konnten wir nicht einfach hinnehmen.

Wie haben Sie zur Aufdeckung dieses Skandals beigetragen?

Zunächst fielen mir methodische Fehler in den beiden Artikeln der UZH auf. Darin war deutlich zu erkennen, dass die Studie so aufgebaut war, dass sich keine Wirkung der neutralen Verpackung auf die Eindämmung des Tabakkonsums nachweisen liess. Timothy Farley, Statistiker bei der Weltgesundheitsorganisation, und ich werteten daher die in den beiden Artikeln herangezogenen Daten noch einmal aus und kamen zu grundlegend anderen Ergebnissen: Wir wiesen nach, dass die neutrale Verpackung bereits im ersten Jahr eine statistisch signifikante Wirkung hatte. Insgesamt habe ich vier Artikel zu diesem Thema mitverfasst.2-5 

Im Anschluss an meine Forschungsarbeit richtete ich 2015 ein Schreiben an den Rektor der UZH, in dem ich unter Hinweis auf die schwerwiegenden methodischen und ethischen Probleme die Zurückziehung der beiden online geschalteten Artikel forderte. Daraufhin beauftragte die Universität einen externen Experten, dessen Mandat aber sehr eng gefasst wurde, denn er erhielt lediglich Zugriff auf die Basisdokumente. Ethische und deontologische Fragen wurden ausgeschlossen. Danach wurde die Affäre von der Universität begraben.

Ich hatte den Rektor auch um Zugang zum Vertrag zwischen der UZH und Philip Morris gebeten. Der Hauptvertrag wurde mir zwar zugestellt, aber der Zugriff auf einen Anhang wurde mir mit der Begründung verweigert, es handle sich um ein vertrauliches Dokument. Im März 2023, als ich vom Tabakpräventionsfonds des Bundes mit der Dokumentation dieser Affäre beauftragt wurde, wandte ich mich erneut an die UZH und erhielt schliesslich, neben anderen Unterlagen, auch eine Kopie des besagten Vertragsanhangs, der sich als Kernstück dieser ganzen Affäre erwies. Es ist ein äusserst belastendes Dokument, sowohl für die beteiligten Forscher als auch für die Universität.

Welche Veränderungen erhoffen Sie sich durch die Aufdeckung dieser Affäre?

Die UZH hat die Grundsätze der wissenschaftlichen Integrität und der Transparenz, die von einer solchen Institution erwartet werden, missachtet und die Schwere des Falls unterschätzt. Ich hoffe, dass die inhaltliche Offenlegung des Vertragsanhangs sie dazu bewegt, Wiedergutmachung zu leisten. Dazu müsste sie zunächst eine echte Untersuchung einleiten und sich dabei an das von den Akademien der Wissenschaften Schweiz in ihrem Kodex zur wissenschaftlichen Integrität6 vorgegebene Verfahren halten. Die beiden Artikel müssen zudem von der Website der UZH gelöscht werden, da sie eigentlich von Philip Morris stammen. Der Konzern nutzt die Website der Universität zur Publikation seiner Inhalte. Schliesslich muss die Universität öffentlich erklären, dass sie von der Tabakindustrie keine Aufträge mehr annimmt, wie dies die Universität Genf nach der Affäre Rylander getan hat.

In der Schweiz gibt es grosse Lücken in Bezug auf die Einmischung der Tabakindustrie in die Forschung. Ich wünsche mir, dass diese Affäre Forschenden und Institutionen die Augen öffnet, damit endlich anforderungsgerechte Massnahmen getroffen werden, um das Vertrauen in unsere Institutionen wiederherzustellen. 

(1)   Petit-Pierre MC. L'Université de Genève soutient finalement deux opposants au lobby du tabac. Le Temps. 27 décembre 2002. Disponible sur : www.letemps.ch/societe/luniversite-geneve-soutient-finalement-deux-opposants-lobby-tabac

(2)    Diethelm PA, Farley TM. Refuting tobacco-industry funded research: empirical data shows decline in smoking prevalence following introduction of plain packaging in Australia. Tobacco Prevention & Cessation. 2015;1(November):6. doi:10.18332/tpc/60650.

(3)    Diethelm, Pascal & Farley, Timothy. (2017). Re-analysing tobacco industry funded research on the effect of plain packaging on minors in Australia: Same data but different results. Tobacco Prevention & Cessation. 3. 10.18332/tpc/78508.

(4)    Diethelm P, McKee M. Tobacco industry-funded research on standardised packaging: there are none so blind as those who will not see! Tobacco Control 2015;24:e113-e115.

(5)    Laverty AA, Diethelm P, Hopkinson NS, et al. Use and abuse of statistics in tobacco industry-funded research on standardised packaging. Tobacco Control 2015;24:422-424.

(6)    Académies suisses des sciences. Code d’intégrité scientifique. 2021. http://go.academies-suisses.ch/integrity. http://doi.org/10.5281/zenodo.4710639

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